PRESSEMITTEILUNG DER DEUTSCHEN UNESCO-KOMMISSION VOM 30.11.2022

Moderner Tanz in UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen

Rhythmus- und Ausdruckstanzbewegung in Deutschland gewürdigt

Die UNESCO hat heute die Praxis des Modernen Tanzes in Deutschland in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Die Weltkulturorganisation würdigt damit eine kreative Ausdrucksform, die den Tanz von Grund auf verändert hat und heute Bühnen wie Tanzausbildung gleichermaßen prägt. Der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Immateriellen Kulturerbe tagt noch bis zum 3. Dezember in Marokkos Hauptstadt Rabat.

„Der Moderne Tanz in Deutschland gehört ab heute zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit“, erklärt Peter Reuss, Deutschlands Botschafter bei der UNESCO. „Damit hat die UNESCO die künstlerische und soziale Bedeutung dieser kulturellen Praxis anerkannt, die ihre Wurzeln im Ausdruckstanz des frühen 20. Jahrhunderts und in der Reformbewegung des Monte Verità hat. Die Anerkennung durch die UNESCO wird die Sichtbarkeit und Strahlkraft des Modernen Tanzes in Deutschland und weltweit erhöhen.“

Neuer Ausdruck

Der Moderne Tanz umfasst die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Vermittlungsformen und Ausbildungstraditionen der Rhythmus- und Ausdruckstanzbewegung. In der Zeit der Weimarer Republik entwickelten sich unter dem Einfluss von Persönlichkeiten wie Rosalia Chladek, Kurt Jooss, Rudolf von Laban, Maja Lex, Gret Palucca oder Mary Wigman verschiedene ästhetische Stile und Vermittlungsansätze, die bis heute praktiziert werden.

„Dass die UNESCO den Modernen Tanz in Deutschland in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingeschrieben hat, ist ein wichtiger Schritt und eine sehr gute Nachricht“, unterstreicht Staatsministerin Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. „Die generationenübergreifende, internationale und inklusive Praxis des expressiven Tanzes ist eine sehr wichtige Kunstform, die für ein modernes, avantgardistisches und weltoffenes Deutschland steht.“

Angeregt durch die Lebensreformbewegung waren Tänzerinnen und Tänzer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, nicht zuletzt in Abgrenzung zum klassischen Ballett. Mit ihren innovativen künstlerisch-choreografischen Ansätzen und Vermittlungsmethoden bilden diese bis heute die Grundlage der Tanzerziehung und -ausbildung in Deutschland.

„Zahlreiche Gewohnheiten, Traditionen und Bräuche prägen unser kulturelles Erbe“, betont Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende der Kulturministerkonferenz. „Sie sind identitätsstiftend und schaffen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Wir wollen diese Traditionen und Bräuche lebendig halten und sichtbar machen. Ich freue mich sehr, dass der Moderne Tanz in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde. Das ist ein großer Beitrag für die lokale und regionale Verankerung von Tanzstudios und die Vermittlung des Modernen Tanzes vor allem im urbanen Raum.“

Kreative Revolution

Der Moderne Tanz vermittelt ein ausgeprägtes Bewegungsverständnis. Nicht starre Formen und standardisierte Stile stehen im Mittelpunkt, sondern der kreative Ausdruck mithilfe des eigenen Körpers. Er zeichnet sich durch die Entwicklung individueller Bewegungsmotive ebenso aus wie durch die Suche mit anderen Tänzerinnen und Tänzern nach einer gemeinsamen Ästhetik.

„Die UNESCO-Bewerbung war ein ganz wesentlicher Impuls, der verschiedene Trägergruppierungen und Akteure der Hauptströmungen des Modernen Tanzes dazu anregte, ihre fachliche Zusammenarbeit weiterhin fortzusetzen“, erläutert Claudia Fleischle-Braun von der Gesellschaft für Tanzforschung. „Dadurch konnten mehrere Projektvorhaben initiiert werden, welche die zeitgemäße Weitergabe der elaborierten künstlerisch-pädagogischen Arbeitsweisen und Techniken des Modernen Tanzes und die Vernetzung der Community untereinander fördern werden.“

Der Ausdruckstanz hat nicht nur die Bühnentanzkunst durchdrungen, sondern auch breitenkulturell Wirkung entfaltet. Choreografinnen und Tanzpädagogen arbeiten heute sowohl in professionellen Studios als auch in Jugendhäusern, Nachbarschaftszentren und an Schulen. Sie schaffen Angebote für Laien jeden Alters, die mithilfe des Modernen Tanzes lernen, ihren Gefühlen durch Bewegung Ausdruck zu verleihen.

„Die Geburt des Modernen Tanzes war eine kreative Revolution“, macht Christoph Wulf, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender des Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe in Deutschland, deutlich. „Waren die Rollen in Staat, Gesellschaft und Kunst lange Zeit klar verteilt, fallen in der Weimarer Republik die Schranken, so auch im Tanz. Plötzlich stehen nicht mehr Konventionen im Mittelpunkt, sondern der Mensch“, so Wulf. „Der Moderne Tanz ist ein Sinnbild der Emanzipation. Ich freue mich, dass die UNESCO diese inklusive, kreative und gemeinschaftsfördernde Bedeutung anerkannt hat!“

Hintergrund

Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 180 Staaten dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland gehört dem Vertrag seit 2013 an.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Mehr als 600 Bräuche, Darstellungskünste, Handwerkstechniken und Formen des Naturwissens aus aller Welt werden derzeit auf diesen Listen geführt, darunter der Tango aus Argentinien und Uruguay, die traditionelle chinesische Medizin, Reggae aus Jamaika und das Bauhüttenwesen in Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und der Schweiz.

Der Zwischenstaatliche Ausschuss setzt sich aus 24 gewählten Vertragsstaaten des Übereinkommens zusammen, darunter in diesem Jahr erstmals auch Deutschland. Er entscheidet jährlich über die Aufnahme neuer Kulturformen in die UNESCO-Listen.