Anita Berber kennen die meisten heute nur noch aufgrund der mit ihr verknüpften Skandale, Rosa von Praunheims Film oder dem morbiden Portrait, das Otto Dix von ihr malte. Dabei war sie in den goldenen Zwanzigern ein über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannter Star. Wie keine andere hat sie den Zeitgeist herausgefordert und damit ihr Publikum auf die Probe gestellt. Gehasst und geliebt von der Öffentlichkeit setzte die Sacchetto-Schülerin ihre Themen mit technischer Perfektion immer radikaler um.
MS Schrittmacher begaben sich in ANITA BERBER – RETRO/PERSPEKTIVE auf die verlorene Spur der Tänzerin und Choreografin. Anita Berbers Werk jenseits der Skandale stand dabei im Vordergrund des umfangreichen Recherche- und Rekonstruktionsprojekts: MS Schrittmacher erforschten die Welt der Anita Berber aus tänzerisch/choreografischer Sicht, spürten ihrer künstlerischen Handschrift sowie ihrer Arbeitsweise nach und näherten sich so auch ihr als Person.
Neben der Sichtung biografischer Literatur sowie fachspezifischen und zeitgenössischen Schriftguts der 20er Jahre stützte sich die Recherche auf das Deutsche Tanzarchiv in Köln und Lothar Fischers Anita Berber Archiv in Berlin, in dem Martin Stiefermann den schmalen Band „Anita Berberová – Studie“ des tschechischen Choreografen und Autors Joe Jencík entdeckte. Dieser beschreibt einzigartig genau wie auch emotional Dramaturgie und Wirkung der Berberschen Choreografien. MS Schrittmacher veröffentlichten Jencíks Studie aus dem Jahr 1930 im Rahmen von ANITA BERBER – RETRO/PERSPEKTIVE erstmalig in deutscher Sprache. Auszüge sowie Bestellinformationen zu „Anita Berberová – Studie“ finden Sie weiter unten.
Auf Grundlage von Jencíks Studie rekonstruierte Martin Stiefermann gemeinsam mit der Tänzerin Brit Rodemund ausgewählte Soli von Anita Berber. Ziel war es, ihrem originären Werk und ihrer künstlerischen Radikalität aus einer zeitgenössischen Perspektive so nah wie möglich zu kommen. Die Ergebnisse ihrer Recherche- und Rekonstruktionsarbeit zeigten Stiefermann und Rodemund in einer Lecture Performance (siehe oben) im Kunstquartier Bethanien, Anita Berbers Sterbeort.
Basierend auf den Rekonstruktionsresultaten entwickelten MS Schrittmacher mit drei Tänzerinnen/Schauspielerinnen die Tanzperformance „Anita Berber – Sie trägt die Nacktheit im Gesicht“, die das Schaffen und die Arbeitsweise der Tänzerin und Choreografin Anita Berber in den Mittelpunkt stellte. Zitate von Zeitzeugen, Zeitungsartikel und Rezensionen berichten von dem pulsierenden, ruhelosen Dasein Anita Berbers, das keine Grenzen kannte und dessen Erlebnisse die Tänzerin unmittelbar in Bewegung und Tanz umsetzte.
Auch Anita Berbers umfangreiches Filmschaffen wurde in der Retro/Perspektive gewürdigt. Hierfür baten MS Schrittmacher den für seine innovativen Stummfilm Live-Sets bekannten DJ D’dread , den allerersten Episodenfim „Unheimliche Geschichten“, in dem Anita Berber sämtliche weibliche Hauptrollen spielte, zu vertonen.
Schließlich stellten MS Schrittmacher sich und anderen Kreativen im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Frage nach den Erb:innen Anita Berbers: Wie sieht künstlerische Radikalität heute aus? Und wer sind ihre Protagonist:innen?
Hier finden sie eine Aufzeichnung des Stücks „Anita Berber – Sie trägt die Nacktheit im Gesicht“
Eine von MS Schrittmacher zusammengestellte Auswahl historischer Filmaufnahmen mit Antita Berber finden sie hier.